Spielzeugflut nahm Überhand
Das Projekt entstand aus der Idee heraus, sich mit den alltäglichen Konsumgewohnheiten kleiner Kinder auseinanderzusetzen, denn irgendwann im Sommer fiel uns Mitarbeitern auf, dass ein schleichender Prozess auch unseren Kindergarten erfasst hatte:
Mitgebrachtes Spielzeug nahm überhand und es gab Kinder, die stets im „Doppelpack“ zu sehen waren, sich kaum von ihrem Spielzeug lösen konnten und oft in gleichen Spielmustern eingeengt waren.
Ich hatte manchmal den Eindruck, dass vorhandenes und mitgebrachtes Spielzeug die Motivation zur Entfaltung des Eigensinns verdeckt und Kinder davon abhält eigene Gefühle und Fähigkeiten auszuleben. Mit eng taillierten rosa glitzernden Plastikpüppchen, die von einer unnormal über-üppigen Haarpracht gekrönt waren, wetteiferten manche Mädchen um die Wette, künstlich duftende Lippenstifte und Glitzerschminke wurden untereinander ausgetauscht, teure YuGiOh-Sammelkarten stapelweise meist von Jungen täglich über lange Zeit in Ecken und Nischen bestaunt.
Wertschätzung von Materialien
Die stets griffbereiten Materialien wie Papier, Stifte usw. lagen immer öfter sorglos herum, halb fertige „Werke“ wanderten sehr schnell in den Papierkorb, der dann überquoll. Oft liefen die Kinder über Bücher, die achtlos auf dem Boden herum lagen.
Im Team sprachen wir über die Eindrücke, die jeder von uns hatte und als das Thema „Spielzeugfreier Kindergarten“, ein Projekt, das schon viele andere Kindergärten „neu“ entdeckt und durchgeführt haben, vorgestellt wurde, war die Neugierde groß und wir überlegten, wie wir diesen suchtpräventiven Ansatz für unseren Kindergarten umsetzen könnten. Wir kamen zu dem Schluss uns von allen vorgefertigten Spielsachen zu trennen.
Mit weniger Material neue Erfahrungs- und Spiel(t)räume schaffen
Decken, Kissen und Matratzen gehören durchaus noch zum Inventar, außerdem Baumaterialien und Werkzeug. Strukturen im Vormittag wie das gemeinsame Frühstück und Versammlungen wollten wir – im Gegensatz zu Projektumsetzungen in anderen Kindergärten, beibehalten.
Uns ging es nicht darum, alles Gewohnte auszuhebeln, sondern die Fülle an Spielzeug in Kindergarten und Kinderzimmern kritisch zu hinterfragen. Durch das Weniger sollen Erfahrungs- und Spiel(t)räume geschaffen werden, in denen die Kinder mit Kreativität und Phantasie zu selbst bestimmten Schöpfern ihrer Erlebnisse und Lernprozesse werden können. Erst die Idee, dann das Spiel!
Die Intention des Projektes ist auch, bereits im Kindergartenalter gezielt Maßnahmen der Suchtprävention durchzuführen und auch die Eltern für das Thema Spielzeugflut zu sensibilisieren. Kinder sind Einflüssen von außen sehr früh und oft schutzlos ausgesetzt, da sie im Kindergarten- und Schulalter alles Neue ungefiltert in sich aufsaugen.
Die Spielzeugindustrie feiert Kinder als Konsumenten
Die Spielzeugindustrie gibt jährlich Millionen Euro für Werbung aus, um Kinder zu erreichen, die sich sehnen und menschliche Wünsche haben – aber in ihrem Innersten nicht nach Plastikspielzeug, Stofftieren, PC-Spielen und überflüssigem Schnickschnack – sondern nach Liebe, Akzeptanz, Freundschaft und dem Gefühl „dazu zu gehören“.
Hier hakt die Spielzeugindustrie ein und produziert ohne Rücksicht auf Verluste drauf los! Hauptsache der Umsatz stimmt und die „kleine Zielgruppe mit dem großen Geld“ wird abhängig! Unser Spielzeug stammt zu großen Teilen aus Billiglohnländern und was den deutschen Verbrauchern preiswerte Spielwaren beschert, wird in den Produzentenländern Ostasiens noch oft mit katastrophalen Arbeitsbedingungen und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen teuer bezahlt!
Schon gewusst?
Die Spielwarenindustrie ist in den letzten Jahren zu einem immer wichtigeren Wirtschaftszweig herangewachsen. Im Jahr 2020 lag der Umsatz auf dem weltweiten Spielzeugmarkt bei über 94 Milliarden US-Dollar!
Also nahmen wir dieses Projekt in Angriff und waren alle sehr gespannt, was diese Wochen für uns an Erfahrungen bereithalten würden! Keiner von uns wusste, wohin die Reise genau gehen würde. Wir hatten zwar eine Vorstellung, aber dies war wirklich mal richtiges Neuland für das gesamte Kindergartenteam!
Mehr zum Projekt "Spielzeugfreier Kindergarten"
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Elternabend nach der dritten Woche