Pass auf, dass du nicht runterfällst! – Warum Kinder klettern müssen
Wie oft habe ich diesen Satz aus dem Mund von Eltern gehört, die ihren Nachwuchs zur Abholzeit nicht wie vermutet im Sandkasten finden, sondern „hoch oben“ in einem Baum mit Blick auf den Sandkasten. Ein kurzer Moment der Überraschung, gefolgt von Sorge: „Pass auf, dass du nicht runterfällst!“
Doch was passiert in diesem Augenblick eigentlich im Kopf des Kindes? Gerade noch war es voller Stolz, hatte seinen Mut bewiesen, Kraft und Geschicklichkeit eingesetzt, um sich immer höher in die Äste zu schwingen. Jetzt aber mischen sich Unsicherheit und Zweifel in das stolze Gefühl – „Bin ich hier oben etwa nicht sicher? Habe ich etwas falsch gemacht?“
Das Kind hat durch eigene Motivation seinen Fuß auf einen Stammknorpel gesetzt und sich dann mit aller Kraft hochgezogen, den Stamm umklammert, an einem Ast nachgefasst und es noch ein Stück höher geschafft.
Nun sitzt es stolz in zwei Meter Höhe und genießt selbstbewusst die Aussicht auf den Sandkasten!
Solche Momente sind so kostbar, denn sie sind für ein Kind zutiefst befriedigend und machen es stolz wie Bolle (so sagen wir hier oben im Norden schon mal gern!).
Ein Recht auf Schrammen – Kindheit darf wild sein
Unsere Gesellschaft ist darauf bedacht, Risiken zu minimieren. Spielplätze werden immer sicherer, Klettergerüste niedriger, Gefahrenquellen eliminiert. Doch damit nehmen wir den Kindern auch eine wichtige Erfahrung: Die Fähigkeit, ihre eigenen Grenzen auszutesten.
Denn genau solche Momente – das Gefühl, sich aus eigener Kraft hochgezogen zu haben, sich festzuhalten, sich zu behaupten – sind so wertvoll! Sie stärken nicht nur die motorischen Fähigkeiten, sondern auch das Selbstvertrauen. Jedes Mal, wenn ein Kind eine neue Höhe erklimmt, wächst es über sich hinaus. Und ja, manchmal gibt es eine Schramme, eine kleine Beule oder ein aufgeschlagenes Knie. Aber auch das gehört zur Kindheit!
Klettern ist mehr als ein Abenteuer – es ist eine Lernaufgabe
Wenn Kinder auf Bäume oder Klettergerüste steigen, trainieren sie weit mehr als ihre Muskeln:
Gleichgewicht und Körperkoordination: Sie lernen, wie sie ihr Gewicht verlagern, wie sie sich festhalten und wohin sie ihre Füße setzen müssen.
Gefühl für Höhe und Sicherheit: Je mehr Kinder klettern, desto besser schätzen sie Gefahren ein – nicht durch Verbote, sondern durch eigene Erfahrungen.
Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen: Einmal abzurutschen oder nicht gleich den höchsten Ast zu erreichen, zeigt ihnen, dass Anstrengung zum Erfolg gehört.
Selbstvertrauen und Stolz: Es gibt kaum ein strahlenderes Gesicht als das eines Kindes, das es ganz allein bis zur Baumkrone geschafft hat!
Ermutigen statt Verunsichern
Natürlich ist es wichtig, dass Kinder lernen, vorsichtig zu sein – aber nicht ängstlich! Statt reflexartig zu rufen: „Pass auf, dass du nicht runterfällst!“, können wir sie bestärken:
„Wow, du bist ja schon richtig hoch! Fühlst du dich sicher?“
„Gut gemacht! Wo ist der nächste stabile Ast?“
„Super! Hast du einen Plan, wie du wieder runterkommst?“
So signalisieren wir: „Ich vertraue dir und deinen Fähigkeiten!“ Und genau dieses Vertrauen macht Kinder stark.
Denn letztendlich brauchen Kinder nicht nur Schutz – sondern auch die Freiheit, ihre Welt zu erobern. Und wenn das mal mit einer kleinen Schramme endet, dann ist das völlig in Ordnung.
Auch das gehört zur Kindheit
Doch genau wie bei Kermit hier unten auf dem Foto gehören Schürfwunden, kleine Schnitt- und Schnitzzverletzungen und Beulen samt Pflaster zur Kindheit mit dazu!
Im Spiegel findet sich dazu ein interessanter Artikel der Journalistin Verena Ahne, der Eltern, ErzieherInnen und alle, die mit Kindern leben, dazu ermutigt Kindern mehr zuzutrauen und es zuzulassen, dass die Kleinen nicht nur mit gebastelten Kunstwerken, sondern auch mal mit Schrammen, Beulen oder Wunden nach Hause kommen.